Baerbock: Machtkampf in Russland ist Teil von «Schauspiel»
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock geht nicht davon aus, dass der Machtkampf in Russland nach dem Rückzug der Söldnergruppe Wagner beendet ist. «Es ist nach wie vor unklar, was dort geschieht. Ich sage ganz klar, was dort geschieht und nicht, was dort geschah», sagte die Grünen-Politikerin am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg.
Es sei weiterhin unklar, was mit den unterschiedlichen Akteuren in Russland passiere. Die Ereignisse am Wochenende seien offensichtlich nur «ein Akt in diesem russischen Schauspiel» gewesen.
Klar ist nach Einschätzung Baerbocks allerdings, dass Russlands Präsident Wladimir Putin mit dem brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine sein eigenes Land zerstört. «Wir sehen die verheerenden Folgen des russischen Angriffskriegs auch auf das Machtsystem von Putin. (...) Und wir sehen massive Risse in der russischen Propaganda», sagte sie.
Deutschland unterstützt Ukraine weiter
Die Bundesregierung will den eskalierten Machtkampf nicht bewerten. «Das ist erst mal eine innerrussische Angelegenheit», sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in der Bundespressekonferenz in Berlin. «Es war eine ernste Angelegenheit und es ist weiterhin ernst», ergänzte er. Die Bundesregierung habe «mit hoher Konzentration die Situation beobachtet».
«Das waren sehr aufregende Stunden, die wir da erlebt haben», sagte Regierungssprecher Hebestreit. «Aber wir verfügen über keine eigenen Erkenntnisse, die wir hier bereitstellen könnten, was sich da wirklich zugetragen hat.» Welche Folgen die Ereignisse haben werden, werde sich erst in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten zeigen. Hebestreit äußerte sich nicht zu Fragen, ob der russische Präsident Wladimir Putin nun geschwächt sei oder wie instabil die Lage in Russland sei.
Zur Rolle Deutschlands und der EU erklärte Baerbock ebenfalls, man mische sich nicht ein, analysiere die Lage aber genau, denn sie berge auch Risiken, die man derzeit noch nicht abschätzen könne. «Für uns Europäer geht es einzig und allein darum, die Ukraine dabei zu unterstützen, wieder in Frieden und in Freiheit leben zu können», ergänzte sie.
Man stocke deswegen das EU-Finanzinstrument, über das unter anderem Waffenlieferungen an die Ukraine finanziert werden, um 3,5 Milliarden Euro auf und von deutscher Seite stelle man bis zum Jahresende 45 weitere Gepard-Flugabwehrpanzer zur Verfügung.
Politiker und Politikerinnen beziehen Stellung
Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg wertet den bewaffneten Aufstand in Russland als klares Zeichen für einen Machtverlust von Kremlchef Wladimir Putin. «Es zeigt, es gibt Risse im russischen Gebälk, es gibt Risse im Machtgefüge und es ist nicht alles so, wie Russland das immer nach außen hin darstellt», sagte Schallenberg am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg.
Es erweise sich nun als Illusion, dass Putin ohne Auswirkungen auf sein eigenes Machtgefüge und die Gesellschaft einen brutalen Angriffskrieg in der Nachbarschaft anzetteln könne. «Es ist ein bisschen sozusagen die Maske heruntergerissen worden.»
Aus Sicht der finnischen Außenministerin Elina Valtonen könnte der eskalierte Machtkampf schwere Folgen für Kremlchef Wladimir Putin haben. «In jedem autoritären Staat ist es natürlich so, dass alles sehr stabil scheint, bis eines Tages nichts mehr stabil ist. Ich gehe davon aus, dass es mit Russland auch so weitergehen wird», sagte Valtonen.
SPD-Chefin Esken sieht Putins Position geschwächt
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sieht Putin geschwächt. Er habe die Vermittlung des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko gebraucht, um die Situation zumindest für den Moment zu befrieden, sagte Esken. «Lukaschenko für Putin - der Präsident eines kleinen Vasallenstaates musste den Kopf des russischen Präsidenten aus der Schlinge ziehen.»
Für SPD-Abgeordneten Michael Roth schadete der Aufstand der Wahrnehmung von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Mit der Aktion habe der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, «Putins Bild vor allem in der russischen Öffentlichkeit erheblich angekratzt», sagte Roth im ZDF-«Morgenmagazin». Prigoschin habe damit gezeigt: Wenn der russische Präsident «so richtig unter Druck steht, wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht, dann ist Putin zu Zugeständnissen und Kompromissen bereit.»
Prigoschin habe auch «die Machtfrage gestellt», sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses weiter. «Das ist in einer Diktatur eigentlich etwas völlig Inakzeptables», betonte Roth. «Ein Diktator muss immer darauf achten, dass seine Macht niemals in Frage gestellt wird». Diese Demütigung sei mit Gefahr verbunden. «Ich fürchte, der Stalinismus in Russland wird jetzt zunehmen, das heißt Putin wird jeden aus dem Weg räumen, der sich ihm in den Weg stellt.»
Österreichs Energieministerin Leonore Gewessler fordert indes einen schnelleren Abschied von russischen Gaslieferungen. «Die politische Situation bestätigt Eines: Dass russische Lieferungen nicht sicher sind, und dass das auf absehbare Zeit genauso bleiben wird», sagte die Ministerin der Grünen in Wien.
Der Aufstand
Am vergangenen Wochenende war in Russland ein lange schwelender Machtkampf zwischen der regulären Armee und der privaten Söldner-Gruppe Wagner eskaliert. Unter der Führung ihres Chefs Jewgeni Prigoschin besetzten die Wagner-Söldner am Samstag etwa die südrussische Stadt Rostow am Don und drohten mit einem Marsch auf Moskau.
Daraufhin wurden in mehreren Regionen Anti-Terror-Maßnahmen ergriffen. Am Samstagabend dann beendete Prigoschin seinen Aufstand überraschend wieder, nachdem der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko vermittelt hatte.