AfD-Sieg in Sonneberg - und nun?
Appelle und Warnungen gab es reichlich. Geändert hat es nichts. Der Landkreis Sonneberg in Südthüringen hat den AfD-Politiker Robert Sesselmann zum Landrat gewählt - Kandidat einer Partei, die vom Verfassungsschutz in Thüringen als «gesichert rechtsextrem» eingestuft wird und bundesweit als Verdachtsfall gilt. Und nun?
«Das ist erst der Anfang», jubelt AfD-Bundeschefin Alice Weidel auf Twitter. Bereits am Sonntag könnte der nächste Erfolg für die Partei anstehen: In Sachsen-Anhalt könnte in Raghuhn-Jeßnitz einer der ersten hauptamtlichen AfD-Bürgermeister gewählt werden. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke fasst den Blick weiter und beschwört ein «politisches Erdbeben» bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im kommenden Jahr.
Derzeit wirkt das nicht unwahrscheinlich. «Wenn es nicht zu einem dramatischen Stimmungswechsel kommt, könnten die Landtagswahlen und die Kommunalwahlen im nächsten Jahr zu einem Triumphzug der AfD werden», sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer.
AfD im Umfragehoch zwischen 18 und 20 Prozent
Bundesweit hat die AfD in Umfragen zwischen 18 und 20 Prozent. Vor den noch in diesem Jahr anstehenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern liegen die Werte der rechtspopulistischen Partei dort zuletzt bei 12 bis 13 Prozent. Anders in den ostdeutschen Ländern: In Thüringen und Sachsen ist die AfD in Umfragen Nummer eins, in Brandenburg mit der SPD gleichauf. Allerdings ist es bis zu den Landtagswahlen im Osten im Herbst 2024 noch über ein Jahr hin.
Deshalb raufen sich die übrigen Parteien die Haare, was nun zu tun ist. Der neue AfD-Landrat Sesselmann hat in Sonneberg seinen Wahlkampf knallhart auf die Ampel-Koalition im Bund zugespitzt: Russland-Sanktionen, Energiepolitik, Abschiebungen. Die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik sei «fruchtbarer Boden für die AfD», sagt Politikwissenschaftler Vorländer.
Selbstkritik bei den Grünen
Die Grünen geben sich am Montag selbstkritisch. Man sei dabei, «unzählige Reformstaus» aufzulösen, erklärt deren Ostbeauftragte Paula Piechotta. «Die Zahl der Veränderungen, die damit einhergehen, ist groß, der Bedarf an Einordnung deswegen größer als jemals zuvor. Diese Einordnung und Klarheit in der Kommunikation müssen wir als Ampel im Bund besser leisten.» SPD-Chefin Saskia Esken äußert sich ähnlich.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit will die Landratswahl nicht kommentieren. Er versichert am Montag nur vorsorglich: «Diese Bundesregierung hat eine sehr klare Vorstellung, wohin sie will mit diesem Land.» Aus der Koalition war zuletzt bisweilen zu hören, hier regierten eben drei sehr unterschiedliche Parteien, Streit sei da nicht ungewöhnlich. Viele Menschen sehen das offenbar anders und wenden sich ab.
Von den FDP-Wählern der vergangenen Bundestagswahl würden heute 15 Prozent die AfD wählen, wie aus dem neuen Forsa-Trendbarometer für die Sender RTL und ntv hervorgeht. Von den CDU-Wählern von 2021 sagen das 10 Prozent, bei den damaligen SPD- und CSU-Wählern jeweils 7 Prozent. Von den Nichtwählern würden demnach sogar 32 Prozent der AfD die Stimme geben.
Kriegen die Regierungsparteien mit besserer Kommunikation die AfD wieder klein? Vorländer hat Zweifel. Die AfD sei seit Jahren in vielen Regionen Ostdeutschlands tief verwurzelt und habe teils ein Potenzial von mehr als 30 Prozent, sagt der Forscher. Viele Menschen hätten konservative, rechtspopulistische, rechtsnationale oder sogar völkische Einstellungen.
In Thüringen fragt die Landesregierung solche Zahlen seit mehr als 20 Jahren jährlich nach. In der Vergangenheit wurden teils bei 30 Prozent der Befragten rechtsextreme Einstellungen identifiziert, 2019 lag der Wert bei 24 Prozent. Nach dem jüngsten Thüringen Monitor vertraten 2022 noch 12 Prozent solche Einstellungen.
Auf dem Land sind die Werte etwas höher als in der Stadt, auch mit Blick auf Empfänglichkeit für Populismus. Mit Blick auf den Bund fühlten sich 69 Prozent der Befragten in Thüringen «politisch abgehängt», bezogen auf die Landesebene waren es 41 Prozent. Das Forsa-Trendbarometer weist bundesweit in dieselbe Richtung. Überdurchschnittlich groß sei die Sympathie für die AfD im ländlichen Raum und bei der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen, hieß es.
AfD als Denkzettel-Partei
Diese Menschen zurückzugewinnen, ist für die traditionellen demokratischen Parteien eine schwierige Aufgabe. Einige hoffen, dass sich die AfD nun als «Regierungspartei» auf kommunaler Ebene selbst entzaubert. Wahrscheinlicher ist ein Szenario, dass die AfD als Denkzettel-Partei stark bleibt und den anderen die Suche nach Regierungsmehrheiten immer schwieriger macht.
Eine Art Testfall dafür ist ebenfalls in Thüringen zu beobachten. Seit der Regierungskrise 2020 führt Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) dort eine rot-rot-grüne Minderheitskoalition, die für alle Entscheidungen mindestens vier Stimmen aus der Opposition braucht. Dafür geht Rot-Rot-Grün vor allem auf die CDU zu und ihren Partei- und Fraktionschef Mario Voigt.
Die CDU ist damit in einer Sandwich-Position zwischen der Regierung und der AfD, die im Landtag auf Totalopposition setzt. «In der öffentlichen Wahrnehmung wird die AfD damit zur einzigen Oppositionspartei», sagt der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. «Das spielt ihr in die Hände.» Wenn die Wahl des ersten AfD-Landrates in Sonneberg als Warnschuss verstanden werde, «dann vor allem für die CDU». Allparteienkoalitionen oder Allianzen zur Eindämmung der AfD würden nicht funktionieren, sagt Brodocz voraus. «Die Lösung kann nicht ein Stabilitätspakt für Deutschland sein.»